Wie ist das Leben mit einem Diabetiker?
Man lernt sich kennen, lieben und irgendwann heiratet man... Friede, Freude, Eierkuchen. Oder?
Dann gibt es einen komischen Hautausschlag beim Partner, er wacht immer nachts auf, muss auf Klo, hat extrem viel Durst...aber nichts hilft! Leider mag er nicht zum Arzt (kommt es euch bekannt vor?) - zumindest nicht gleich. Irgendwann sieht er aber doch ein, dass der Ausschlag nicht besser wird und geht sogar zu einem Hautarzt. Glücklicherweise hat die kompetente Dame auf einen Blick gesehen: "Krasser Ausschlag - in so einer Form habe ich das bisher nur bei Diabetikern gesehen. Da messen wir doch einmal vorsichtshalber Ihren Blutzucker." Tja, gesagt, getan: Beide benutzten Geräte zeigten den Wert nicht mehr an, weil er jenseits der Messskala lag. Also wurde Monsieur umgehend zu einem Diabetologen "weitergereicht". Dieser stellte dann fest: "Erstaunlich, dass Sie noch leben." und "Sie haben Typ-1-Diabetes."
Wie geht man mit dieser Nachricht um? Gar nicht...ich bin zusammengebrochen, weil ich im Nachhinein erst mitgeschnitten habe, dass mein Mann auch schon hätte tot sein oder im Koma liegen können, und er hat wieder angefangen zu rauchen und war sich nicht sicher, ob ich mit ihm zusammenbleibe, weil er er ist und toll oder aus Mitleid (bitte? geht ja gar nicht - Diabetes macht aus einem ja keinen anderen Menschen!)...
Irgendwie gewöhnt man sich dann dran, dass der Partner zwischendurch unruhig wird, sich misst, auch mal nachts rausmuss, um was zu essen oder gegenzuspritzen...aber woran man sich nicht gewöhnt:
An krasse Unterzuckerungen und Notarztaktionen!
Beim ersten Mal wollten wir nur noch kurz für ein gemütliches Wochenendfrühstück einkaufen. Sein Wert war schon relativ niedrig, aber er hatte ihn immer sehr gut unter Kontrolle, also sind wir losgetigert - der Supermarkt ist ja auch direkt um die Ecke. Wir sind kaum drin: "Jana, ich verkrampfe" - das Gesicht werde ich nie vergessen. Die Augen verdrehten sich ganz fies nach oben, der Hals nach hinten und der Kopf ebenso...und dann: Zusammenbruch. Er ist genau in den Gemüsestand gekracht. The world suddenly kicks into slow motion. Wirre Gedankenfetzen "cool, Kaki müssen wir auch mal probieren", Verwirrung, Panik, ich fange an zu schreien, er reagiert nicht mehr, sondern zittert und krampft - es kommt jemand dazu und ich renne los, heulend, um Traubenzucker zu holen, weil ich denke, das hilft... Ich fühle mich, als würde ich durch Wackelpudding laufen - als würde die Welt im "Hyperdrive" unterwegs sein und ich in Zeitlupe. Nach einer gefühlten Ewigkeit finde ich den Traubenzucker und "renne" zurück - ich fühle mich so, als wäre ich so fertig, wie noch nie in meinem Leben, und sehe die ganze Zeit vor mir, dass er stirbt, wir uns vorher noch gestritten haben und wie unwichtig alles andere ist im Vergleich zu ihm und unserer gemeinsamen Zeit. Mein Blick fällt auf meinen am Boden liegenden und immer noch krampfenden Mann: Er ist immer noch nicht ansprechbar, guckt ins Leere und vor seinem Mund ist eine Blutlache!
Horror
Irgendwann kommt wirklich der Notarztwagen, den eine gütige Seele gerufen hat: Ich bin ja komplett hilflos und habe nichts dabei; weder Portemonnaie, noch Geld, noch Handy oder Ausweis - wir wollten ja nur kurz noch Milch kaufen. Abgesehen davon, dass ich gefragt wurde, ob mein Mann Alkoholiker ist (was antwortet man da? "ICH WEISS ES NICHT!!!!"), haben die Rettungsleute am Anfang versucht, mich zu beruhigen und sich nicht um ihn gekümmert... "Wegen welcher Person wurden wir denn gerufen?" ...nicht witzig! Epileptische Krampfanfälle sind ungeil und in seinem Fall haben sie das Hirn komplett ausgeschaltet...es war so eine massive Unterzuckerung, dass er sich an nichts mehr erinnern konnte - seinen Namen, wo er wohnt, welcher Monat ist etc. Echt übel! Und im Krankenhaus durfte ich nicht mit in die Notaufnahme, sollte nur draußen warten, bis eine Untersuchung vorbei ist...sitze dort panisch und zu Tode betrübt (bin auch nur leicht fatalistisch veranlagt...)...und warte...und warte...und warte. Als ich endlich einen Menschen von "drinnen hinter den magischen Türen" entdecke, der bei den Normalsterblichen im Warteraum vorbeikommt, nötige ich ihn, zu meinem Mann zu kommen. Resultat: Er war schon längst im Flur, hatte nur ein Glas Apfelsaft bekommen, wurde nicht untersucht - und ich wurde einfach vergessen. WAAAAAH! Immerhin ging es ihm gut, keine bleibenden Schäden und das Blut war auf einen tiefen Biss in der Zunge durch die Krämpfe zurückzuführen...trotzdem war das Wochenende gelaufen und die Panik kommt zwischendurch immer wieder.
Zweite Aktion:
Er unterzuckert abends, isst massiv dagegen, wacht irgendwann wieder auf, weil ich ihn wecke, und stellt fest, dass er Lähmungserscheinungen hat - wie bei einem Herzinfarkt...natürlich darf ich nicht gleich den Krankenwagen rufen, es ist ja auch schon um 0 Uhr, er möchte nur aufs Klo...bricht 2 m vom Bett entfernt zusammen, weil ich ihn nicht halten kann (halbseitige Lähmung) und nässt sich dort ein. Ich rufe panisch den Notarzt, habe keine Ahnung, was ich erzählen soll, aber sie kommen...müssen intravenös x Einheiten gegenspritzen (dagegen hätte er nie anessen können...) und ich wurde nach vorn im Krankenwagen gesetzt...und dachte die ganze Zeit, er kratzt hinten im Wagen ab...
Ende vom Lied
Bei ihm scheinen (massive und unvorhergesehene) Unterzuckerungen auf das Gehirn zu schlagen - mehr kann man dazu nicht sagen...es sei ja auch keine exakte Wissenschaft...
Wie kann es sein, dass bei der "Volkskrankheit Diabetes" immer noch so wenig erforscht ist? Und was ist mit der Transplantation Langerhansscher Zellen? Wie kann bei einer Sendung der ARD über Diabetes nicht zwischen Typ 1 und Typ 2 unterschieden werden? Teilweise vermisse ich dies ja sogar noch bei diabetesDE...
So bleibt mir nur zu hoffen, dass keiner dieser Anfälle kommt, wenn ich nicht dabei bin - bzw. jemand, der weiß, dass er Typ 1-Diabeter ist, und dass endlich auch medizinische Lösungen gefunden werden. Ich liebe meinen Mann, mit oder ohne Diabetes, und hoffe, dass er mir LANGE erhalten bleibt. Tipps? Auch, wie man völlig überzogene Ängste überwindet, wenn Monsieur mal länger nicht ans Telefon geht, wenn man z. B. verabredet war (Kopfkino: Er liegt irgendwo unterzuckert in der Ecke und kratzt ab - niemand kümmert sich drum, Portemonnaie mit Diabetikerausweis gestohlen und Handy auch)? ...ich bin für jegliche Anregung dankbar und wünsche einen angenehmen Ausklang dieses speziellen Tages meines ersten Blogeintrages über die Liebe meines Lebens und die Krankheit, die ihn mir nehmen kann, ohne die es ihn aber nicht mehr gibt.